Spitz pass auf!

Auf einmal ist es soweit: Albert und ich bereiten den letzten einer ganzen Reihe von workshops für die Mitarbeiter des Ankur Counseling Center vor. Zu unser aller Bedauern kann Anne nicht mehr dabei sein, da sie aus privaten Gründen ihren Aufenthalt hier abbrechen musste. Denn durch ihre beständige Arbeit hat sie das Interesse der Mitarbeiter weiter verstärkt, das durch die ersten workshops (siehe blog dazu ) geweckt worden war. Wir entscheiden uns, zwei unterschiedliche Spiele mit den Mitarbeitern zu bauen: Spitz-pass-auf und eine Würfelbox. Spitz-pass-auf ist ein lustiges Spiel für mehrere Spieler jeden Alters, das die Aufmerksamkeit und die Reaktion fördert. Die Würfelbox übt das Rechnen im Zahlenraum bis 12 und kann ebenfalls von mehreren Kindern gespielt werden. Die Spielsteine für Spitz-pass-auf haben wir extra hier in Patan drechseln lassen (siehe blog über Hemdas Shilpakar).
Die übrigen Materialien, die rote Bohrmaschine, den Spielbecher und die Unterlage, all dies haben wir hier gekauft. Die Würfelbox ist aus einem Bausatz, den Anne mitgebracht hat. Wir kommen in den großen Gruppenraum und werden von den Mitarbeitern schon erwartet. Darüber freuen wir uns sehr. Albert krempelt die Ärmel hoch, packt die Werkzeuge aus, richtet sämtliche Bauteile. Dann erklärt er das Spiel Spitz-pass-auf. Die Mitarbeiter schauen etwas verwundert, aber nach den ersten Runden spielen wir alle mit großem Vergnügen und herzlichem Lachen!  Das Bauen des Spiels geschieht dann mit ebenso großer Freude und Begeisterung. Nach einer kurzen Einweisung in die Benutzung einer elektrischen Handbohrmaschine sind sie kaum noch zu bremsen.
Die übrigen Arbeitsschritte gehen auch schnell von der Hand. Jetzt müssen die Spielsteine nur noch in der Sonne trocknen. In der Zwischenzeit bauen wir das Spiel mit der Würfelbox. Dieses ist in der Herstellung etwas komplexer, auch muss ein Bauplan gelesen und verstanden werden. Dabei müssen wir z.B. auch improvisieren, da die benötigte Feinsäge hier in Nepal für uns nicht aufzutreiben ist. So behelfen wir uns mit einem Sägeblatt einer Metallbügelsäge und Klebeband als Handgriff. Da nur kurze Schnitte zu sägen sind, klappt es mit diesem Provisorium doch ganz ordentlich.
Ich übersetze die Anleitung ins Englische und  wir spielen ein paar Runden. Jetzt sind die Spielsteine trocken, es folgen einige Runden Spitz-pass-auf. Die Mitarbeiter wollen gar nicht mehr aufhören! Die Stimmung ist wirklich ausgelassen und fröhlich.
In einem gemeinsamen Gespräch betonen die Mitarbeiter, dass sie in den verschiedenen workshops sehr viel gelernt und Anregungen bekommen haben. Chhori hebt hervor, dass beim Werken das Übersetzen in die Fremdsprache nicht so wichtig ist, da man beim Vorführen sehr gut Mimik und Gestik einsetzen kann.  Alle Mitarbeiter bedanken sich explizit bei Anne und auch bei uns für die gesamten Anregungen, neuen Anstöße und Ideen für ihre zukünftige Arbeit. Wir verlassen Ankur mit dem guten Gefühl, dass die Mitarbeiter diese für sie neue Methode weiter einsetzen werden.

Hier mehr Infos über die nepalyouthfoundation

Ankur Counseling Center

Ankur, die einzige Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche in Nepal.

Text und Bilder von Anne Haller – Karpf

Mit großer Spannung ging ich zum ersten Mal zum Ankur Counseling Center in Lalitpur/Kathmandu. Psychologische Beratung für Kinder und Jugendliche in Nepal? Wie wird, wie kann diese Arbeit hier aussehen? Bereits im Flur gibt es Vertrautes. Die verschiedenen Gefühlsbilder begleiten mich in den ersten Stock, in dem die Beratungszimmer liegen. 3 kleine Spielzimmer, ausgestattet mit dem Sandspiel und den dazu gehörenden unzähligen kleinen Figuren, ein paar Stiften zum Malen, Knete, einem Tangram und ein paar Kuscheltieren, sowie ein großer Gruppenraum und ein Büro befinden sich hier. Im Obergeschoss ist ein Zimmer als Bücherei und Büro eingerichtet, daneben liegt die Küche, das Reich von Sancha. Er kocht jeden Tag das nepalesische Nationalgericht Dal Bhat, 2mal die Woche mit gekochtem Reis, 4mal mit ungekochtem Bitten Rice, einer Art von Reisflocken.
Sancha bringt Tee und sorgt für alles, was anfällt. Eine Beratungsstelle mit eigenem Koch, das würde uns zuhause auch gefallen. Chhori Laxmi Maharjan, die Leiterin und Sumitra Dhakal, eine Mitarbeiterin haben ein mit Master abgeschlossenes Psychologiestudium.; dieses hauptamtliche Team wird durch 2 Interns ergänzt, die direkt nach dem Studium ihre praktische Ausbildung in psychologischer Beratung machen. Von Anfang an bin ich beeindruckt von der sehr freundlichen und wertschätzenden Kommunikation der Mitarbeiter untereinander, trotz der strengen Hierarchie; ohne Chhoris Zustimmung wird nichts gemacht und entschieden. Die wichtigste therapeutische Methode in der Einzeltherapie für die Kinder ist das Sandspiel, eine Form analytischer Spieltherapie, die auf die Theorie C.G.Jungs zurückgeht. Im Sandspiel stellen die Kinder ihre innere psychische Situation dar, indem sie mit dem bereitgestellten Material Szenen aufbauen, in denen ihre seelischen Dramen, Konflikte, Probleme und Überforderungen zum Ausdruck kommen. Diesen Prozess begleitet der Therapeut empathisch und hilft dem Kind durch seine Interventionen seine innere Situation zu verstehen, zu bewältigen und Lösungen zu finden.
Das Sandspiel ist eine weitgehend nonverbale Methode und so geeignet für ein Land, in dem es über hundert verschiedene Kulturen und Sprachen gibt. Manchmal wird dieser spieltherapeutische Prozess durch eine zusätzliche Gesprächspsychotherapie ergänzt. Das Sandspiel wurde bereits 2006 bei der Gründung von Ankur von Dr. Barbara Jones eingeführt und die Leiterin Chhori darin ausgebildet. Eine weitere zentrale Methode ist das group counseling für Kindergruppen von 4-10 Kinder. Die meisten Kinder, die in Ankur psychologische Hilfe erhalten, leben in Kinderheimen, sind Waisen oder getrennt von ihren Familien, die aus den verschiedensten Gründen ihren Kindern keine förderliche (ökonomisch, sozial und emotional) Umgebung bieten können. Die Themen, die in den Gruppen behandelt werden, leiten sich ab aus den Problemen, die sich im Verhalten der Kinder in ihren Heimen zeigen. Ein zentrales Thema ist die Entwicklung von Selbstbewusstsein; Entwicklung von Empathie, Umgang mit Mobbing, Entwicklung von Arbeitsverhalten, Prüfungsvorbereitung, Pubertät, Umgehen mit Stress sind weitere wichtige Arbeitsfelder. Diese Stunden werden sehr sorgfältig mit Elementen der Selbsterfahrung und kognitiver Reflexion von den Interns vorbereitet und durchgeführt, anschließend von den Hauptamtlichen supervidiert. An diesen Sitzungen konnte ich teilnehmen und ich war sehr überrascht, wie akzeptierend, wertschätzend und respektvoll die Kommunikation mit den Kindern ist. Der Focus liegt ausschließlich auf positivem Feed-back. In unseren westlichen Augen störendes Verhalten der Kinder, wie Kaugummiblasen machen, sich wegdrehen, aufstehen, mit einem Kuli spielen wird konsequent übersehen und wird dann im Verlauf der Sitzung zunehmend weniger. In der Gruppe wird von den Kindern und dem Leiter Nepali gesprochen; die für alle ethnischen Gruppen verbindende, gemeinsame Sprache.  In der Schule wird  Nepali in Wort und Schrift gelehrt, neben Englisch, das für viele Schulfächer die verwendete Sprache ist. Es ist jedoch deutlich, dass die Kinder Nepali sehr gut sprechen, ihre Englischkenntnisse sind je nach Alter unterschiedlich entwickelt. Für mich sehr auffallend war, dass Gefühle, Charaktereigenschaften usw. immer mit englischen Worten ausgedrückt werden, sowohl sprachlich, als auch schriftlich. Auf meine Nachfrage erntete ich großes Erstaunen. Weder den Kindern, noch den Leitern war es vorstellbar, emotionale und soziale Inhalte anders als in Englisch auszudrücken. Als ob die nepalesische Sprache kein Vokabular dafür hätte. Zur Erklärung dieses Sachverhaltes habe ich mir folgende Hypothese aufgestellt. Psycholgisches Reflektieren bezieht sich häufig auf individuelles Erleben, ein Ansatz und eine Sichtweise, die uns in unserer indvidualisierten, westliche Welt völlig selbstverständlich ist.  Im nepalischen Denken hingegen, das sich auf Tradition, Religion und Großfamilie als handlungsleitendes Prinzip bezieht, ist diese individualistische Sicht eigentlich eine nicht vorhandene Denkmöglichkeit. Und vielleicht braucht es deshalb die englische Sprache?
Aber Ankur hat naoch weitere Aufgaben: Beratung der Hauselten der Kinderheime, Beratung Jugendlicher, die bereits selbstständig ohne Betreuung leben, Beratung der Mitarbeiter und der Mütter im New Life Center (eine Einrichtung für HIV-infizierte Mütter und Kinder), Ausbildung von peer-counselers für Kumlaris (Kumlaris sind freigelassene junge Frauen, die als kleine Mädchen als Arbeitskräfte an Landlords zum Arbeiten verkauft wurden), Fortbildungen für Kindergärtnerinnen, Durchführung von Kursen zu bestimmten Themen (Pubertät, Entspannung Stress, Entwicklung von Sozialverhalten, Entwicklung von Selbstbewusstsein). Was mich sehr verblüfft hat, wie ähnlich die Arbeit mit den Kindern ist: die nonverbale Spieltherapie, die themenzentrierte Gruppenarbeit. Ich selbst habe eine Gruppensitzung mit 17 Kindern mit der Übersetzungshilfe der Mitarbeiter durchgeführt.
Die Kinder haben ein Memoryspiel gemalt und es anschließend mit größtem Vergügen gespielt. Das Spiel selbst war den Kindern nicht bekannt gewesen. Auch bei dieser Aktion war beeindruckend, wie konzentriert und sorgfältig die Kinder bei der Arbeit waren, wie problemlos ein Wasserfarbkasten und 10 Fasermalstifte geteilt werden können und wie 17 Kinder vertieft um 1 Memoryspiel mit 30 Kartenpaaren sitzen. Obwohl diese Kinder häufig traumatische Erfahrungen erlitten haben, sind ihre sozialen Verhaltenweisen erstaunlich gut entwickelt.
Und dies ist vielleicht einer der Unterschiede zu unserer Gesellschaft und ihren Auswirkungen auf den Einzelnen: gegenseitiger Respekt und Höflichkeit ist in der nepalesischen Kultur als wichtiges Prinzip tief verankert und wird in Ankur mit seinem wertschätzenden, akzeptierenden Kommunikationsverhalten zum strukturienden Element der therapeutischen Arbeit. Da Ankur als Beratungsstelle eine Einrichtung von NYF ist, deren verschiedenste Einrichtungen durch ein Netzwerk verbunden sind, wird psychologisches Denken, das in Nepal eigentlich noch völlig unbekannt ist, durch Ankur auch in andere NYF-Einrichtungen getragen, z.B. in die Kinderheime, in denen die wöchentlichen Gruppensitzungen als housevisits stattfinden und die regelmäßige Beratung der houseparents. Durch diesen Einfluss wird  so eine Lebenswelt für die Kinder geschaffen, die therapeutisch wirksam wird, da sie sehr gegensätzliche Erfahrungen vermittelt zur früheren Lebenswelt der Kinder. Und Nepal als Land im Umbruch zur Moderne erlaubt, trotz (zwar offiziell abgeschafftem) Kastenwesen und großer sozialer Unterschiede bei entsprechender psychologischer Unterstützung zur Bewältigung kindlicher Traumen und entsprechender Möglichkeit zur schulischen Ausbildung erstaunliche Lebensläufe. Viele Fragen bleiben für mich jedoch weiterhin offen. Die kulturellen Eigenheiten wirklich zu verstehen, ist ohne Sprache und längere Teilnahme als die 4 Wochen, die ich in Ankur gewesen bin, nicht möglich. Aber es wurde deutlich, dass „westliche“ psychologische Theorien, analytischer Zugang zur inneren Welt der Kinder eine hilfreiche und unterstützende Arbeit für die emotionale, soziale und kognitive Entwicklung benachteiligter Kinder in Nepal darstellt.
Hier mehr Infos über die nepalyouthfoundation

World Mental Health Day 2013

Text und Bilder von Anne Haller – Karpf 
Der Welttag seelischer Gesundheit findet weltweit jährlich am 10. Oktober statt (ins Leben gerufen von der World Federation of Mental Health mit Unterstützung der WHO), um auf die Belange von psychisch erkrankten Menschen aufmerksam zu machen und um das Bewusstsein für die Bedeutung seelischer Gesundheit zu schärfen. Beinahe 12% der Weltbevölkerung leiden an psychischen Problemen, einer von 4 Menschen ist davon betroffen. Vor allem in Ländern mit niedrigem Einkommen fehlt es an Wissen und Aufklärung über seelische Erkrankungen und vor allem an finanziellen Möglichkeiten zur Diagnose und Behandlung.

In Nepal haben sich über 20 verschiedene Einrichtungen zusammengeschlossen, um mit einer Demonstration und Kundgebung auf die Missstände aufmerksam zu machen. Im Rahmen meiner Arbeit als volunteer bei Ankur konnte ich an der diesjährigen Demonstration teilnehmen. Der Zug nahm seinen Ausgang bei einer buddhistischen Stupa und führte zum größen Heiligtum der Hindus nach Pasupathinat. Sicherlich keine zufällige Wahl, da beide Religionen im Bewusstsein und im Alltag der nepalesischen Bevölkerung eine große Rolle spielen. Das Thema des diesjährigen Welttages „Psychische Gesundheit und ältere Menschen“ wurde durch eine pantomimische Darstellung bei der Abschlusskundgebung beeindruckend in Szene gesetzt.
In Nepal gibt es außer für Beamte keine Renten und außer einer Art von Sterbeheim im Tempel Pasupathinat gibt es keine Altersheime zur Versorgung. Die Kinder versorgen ihre Eltern im Alter im Rahmen der Großfamilie. Aber natürlich kommt es aus den unterschiedlichsten Gründen zu manchen Missständen in diesem System: die alten Menschen leiden unter psychischer Vernachlässigung, sozialer Isolation und mangelnder körperlicher Versorgung.  


Hier mehr Infos über die nepalyouthfoundation